Kontinuität nach Ramaḍān – Ein Beginn, kein Ende

Nach Ablauf des Ramaḍān erleben viele einen spirituellen Stillstand. Es ist jedoch entscheidend, die eigenen Bemühungen (auch wenn weniger als im gesegneten Fastenmonat) nahtlos fortzusetzen, um Stagnation oder, Allāh bewahre, einen Verfall zu verhindern. Möge die folgende Übersetzung aus dem berühmten Werk „Laṭāʾif al-Maʿārif fīmā li-Mawāsim al-ʿĀm mina al-Waẓāʾif“ von Ḥāfiẓ Abū al-Faraj Ibn Rajab al-Ḥanbalī (gest. 795 n.H.) den aufrichtig Suchenden zur Inspiration und Ermahnung dienen. An dieser Stelle seines Buches nennt Ḥāfiẓ Ibn Rajab (raḥimahullāh) fünf besondere Vorzüge des regelmäßigen Fastens im Schawwāl – also unmittelbar nach dem Fastenmonat Ramaḍān – und hebt die Bedeutung der Standhaftigkeit (istiqāmah) im Gehorsam gegenüber Allāh auch nach dessen Ende hervor.

Das regelmäßige Fasten nach dem Ramaḍān birgt einige Vorteile in sich, und zwar:

Erstens: Wer nach dem Ramaḍān sechs Tage im Shawwāl fastet, erhält – wie zuvor erläutert – die Belohnung, als hätte er ein ganzes Jahr gefastet.

Zweitens: Die Fastentage in Shaʿbān und Shawwāl gleichen den freiwilligen Gebeten (sunan rawātib) vor und nach den Pflichtgebeten. Sie dienen dazu, die Mängel und Lücken in den obligatorischen Handlungen zu beheben. Am Tag der Auferstehung werden die Pflichttaten durch freiwillige ergänzt und vervollständigt – wie es in mehreren Ḥadīthen des Gesandten Allāhs ﷺ überliefert wurde.

Da die meisten Menschen Unzulänglichkeiten in ihren Pflichtfasten aufweisen, müssen diese durch freiwillige Fasten ausgeglichen werden. Aus diesem Grund verbot der Gesandte Allāhs ﷺ es, dass jemand sagt: „Ich habe den gesamten Ramaḍān gefastet oder (nachts) gebetet.“

Ein Gefährte (raḍiyallāhu ʿanhu) sagte: „Ich weiß nicht, ob ich das Zeigen meiner Taten missbilligen oder mich ihrer zu sicher fühlen sollte.“

ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz (raḥimahullāh) sagte: „Wer nichts vorfindet, um es zu spenden, der soll fasten.“

Das bedeutet: Wer nicht die Mittel hat, die Ṣadaqat al-Fiṭr am Ende des Ramaḍān zu leisten, sollte stattdessen danach fasten, denn Fasten kann – im Sinne der Sühne für bestimmte Vergehen – das Speisen (von Bedürftigen) ersetzen. Dies ist vergleichbar mit der stellvertretenden Rolle des Fastens als Sühneleistung bei beispielsweise gebrochenen Eiden, Töten, Geschlechtsverkehr im Ramaḍān oder Ẓihār.

Drittens: Es ist ein Anzeichen für die Annahme der Fasten im Ramaḍān. Denn wenn Allāh ﷻ eine Tat von einem Diener annimmt, ermöglicht Er ihm eine weitere gute Tat. Wie treffend gesagt wurde: „Die Belohnung einer guten Tat ist, dass ihr eine weitere gute Tat folgt.“

Wenn also jemand eine gute Tat verrichtet und ihr eine weitere gute Tat folgen lässt, ist das ein Hinweis darauf, dass seine erste Tat angenommen wurde. Sowie wenn jemand allerdings eine gute Tat verrichtet und ihr dann eine schlechte Tat folgen lässt, ist das ein Zeichen dafür, dass die gute Tat abgelehnt und nicht angenommen wurde.

Viertens: Das Ramaḍān-Fasten bewirkt die Vergebung vergangener Sünden, wie bereits zuvor erwähnt. Die im Ramaḍān gefastet haben, erhalten ihren Lohn am ʿĪd, dem Tag der Belohnung. Wer danach weiterfastet, zeigt damit Dankbarkeit für diese Gnade. Und es gibt keine größere Gnade als die Vergebung der Sünden.

Der Gesandte Allāhs ﷺ stand nachts so lange im Gebet, dass seine Füße anschwollen. Man fragte ihn: „Warum tust du das, obwohl Allāh dir doch deine vergangenen und zukünftigen Sünden vergeben hat?“ Er antwortete: „Sollte ich dann nicht ein dankbarer Diener sein?“

Allāh ﷻ befahl Seinen Dienern, dankbar für die Gnade des Fastens im Ramaḍān zu sein – durch Gedenken Seiner und andere Formen des Dankes. Er sagt im Qurʾān: „…damit ihr die Anzahl (der Tage) vollendet, Allāh dafür preist, dass Er euch rechtgeleitet hat, und damit ihr dankbar sein möget.“ (Sūrah al-Baqarah, 2:185)

Eine der Möglichkeiten, Allāh ﷻ für das Fasten im Ramaḍān, für Seine Hilfe dabei und für die Vergebung der Sünden zu danken, besteht darin, nach dem Monat – aus Dankbarkeit – weiterzufasten. Einige frommen Vorgänger pflegten, wenn sie zum Nachtgebet befähigt worden waren, am darauffolgenden Tag zu fasten – als Dank für diese Befähigung (tawfīq).

Die Menschen pflegten Wahb ibn al-Ward nach der Belohnung bestimmter Taten zu fragen, etwa dem Ṭawāf um die Kaʿbah und anderen. Er erwiderte: „Fragt nicht nach der Belohnung dieser Tat. Fragt vielmehr, wie derjenige, der zu dieser Tat befähigt und dabei unterstützt wurde, Dank dafür zeigen sollte.“

إذا أنْتَ لَمْ تَزْدَدْ عَلى كُلِّ نِعْمَةٍ … لِمُولِيكَها شُكْرًا فَلَسْتَ بِشاكِرِ
„Wenn du bei jeder Gunst dich nicht vermehrst
an Dank für den, der sie beschert – bist du kein wahrer Dankender.“

Jede Gnade – ob religiös oder weltlich, die ein Diener von Allāh ﷻ erhält, erfordert Dank. Doch selbst die Fähigkeit dieser Dankbarkeit ist selbst wieder eine Gnade, die weiteren Dank verlangt. Diese Kette setzt sich unendlich fort, sodass der Diener letztlich unfähig ist, Allāh ﷻ angemessen zu danken. Die wahre Essenz der Dankbarkeit besteht darin, seine eigene Unfähigkeit anzuerkennen, wirklich dankbar sein zu können. Wie ein Dichter sagte:

إذا كانَ شُكْري نِعْمَةَ اللهِ نِعْمَةً … عَلَيَّ لَهُ في مِثْلِها يَجِبُ الشُّكْرُ
„Wenn mein Dank für Allāhs Gnade selbst eine Gnade ist,
dann ist es meine Pflicht, auch dafür erneut Dank zu leisten.

فَكَيْفَ بُلوغُ الشُّكْرِ إلَّا بِفَضْلِهِ … وَإنْ طالَتِ الأيَّامُ وَاتَّصَلَ العُمْرُ
Wie also kann man den Dank je erreichen außer durch Seine Gunst
– selbst wenn sich Tage häufen und das Leben sich in die Länge zieht?“

Abū ʿAmr ash-Shaybānī sagte: „Mūsā sagte an dem Tag, als er zum Berg Ṭūr ging: ‚O mein Herr! Wenn ich das Gebet verrichte, so geschieht es nur durch Dich. Wenn ich Almosen gebe, so geschieht auch dies nur durch Dich. Wenn ich Deine Botschaft überbringe, so ist es durch Dich. Wie also kann ich Dir je genug danken?‘ Allāh ﷻ sprach: ‚O Mūsā! Nun eben hast du Mir gedankt.‘“

Wer jedoch die Gnade des Ramaḍān-Fastens durch erneute Sünden ‚zurückzahlt‘, der vergilt Allāhs ﷻ Gunst mit Undank. Wer nach dem Ramaḍān bewusst plant, in Sünden zurückzufallen, dessen Fasten ist verworfen – und die Pforten der Barmherzigkeit schlagen vor ihm zu.

Kaʿb al-Aḥbār (raḥimahullāh) sagte: „Wer im Ramaḍān fastet und dabei fest entschlossen ist, Allāh ﷻ nach dem Ramaḍān nicht ungehorsam zu sein, der wird ohne Fragen oder Abrechnung ins Paradies eintreten. Wer jedoch im Ramaḍān fastet und dabei im Innern bereits plant, Allāh ﷻ nach dem Ramaḍān ungehorsam zu sein, dessen Fasten ist abgelehnt und die Tür der Barmherzigkeit vor seinem Gesicht verschlossen.“

Fünftens: Die Taten, mit denen sich ein Mensch Allāh ﷻ nähert, enden nicht mit dem Ende des Ramaḍāns. Vielmehr bestehen sie fort – solange der Mensch lebt. Das ist die Bedeutung des zuvor erwähnten Ḥadīths, in dem es heißt, dass derjenige, der nach dem Ramaḍān weiter fastet, wie jemand ist, der wieder hinauszieht, nachdem er vom Schlachtfeld, sprich vom Kampf auf Allāhs Weg, geflohen war.

Viele Menschen empfinden Freude über das Ende des Ramaḍān, weil sie das Fasten als beschwerlich, ermüdend oder zu lang hingezogen empfinden. Ein Mensch, der dies empfindet, tut sich schwer damit, schnell wieder zum Fasten zurückzukehren. Wer jedoch kurz nach dem ʿĪd wieder mit dem Fasten beginnt, zeigt damit seine innere Begeisterung für das Fasten. Das bedeutet: Der gesamte Monat hat ihn nicht erschöpft, ihn nicht belastet, und er hat sich nicht davon abgewandt.

At-Tirmidhī (raḥimahullāh) berichtet: „Die bei Allāh ﷻ beliebtesten Taten sind die eines Menschen, der stets kehrt und wieder beginnt.“

Dies wurde bezüglich dessen ausgelegt, der den Qurʾān von Anfang bis Ende rezitiert – und erneut von vorne beginnt, sobald er ihn vollendet hat. Genauso verhält es sich mit demjenigen, der kurz nach dem Ende des Ramaḍān wieder mit dem Fasten beginnt: Er gleicht demjenigen, der den Qurʾān rezitiert und ihn gleich nach dem Beenden erneut beginnt. Und Allāh ﷻ weiß es am besten.

Jemand sagte zu Bishr: „Die Leute dienen Allāh und bemühen sich im Ramaḍān sehr.“ Er antwortete: „Übel sind jene, die Allāh ﷻ nur im Monat Ramaḍān Rechte anerkennen. Der rechtschaffene Mensch ist jener, der Allāh ﷻ das ganze Jahr über dient und sich bemüht.“

Ash-Shiblī (raḥimahullāh) wurde gefragt: „Welcher Monat ist besser – Rajab oder Shaʿbān?“ Er antwortete: „Sei ein Rabbānī (ständiger, aufrichtiger Diener Allāhs ﷻ) – und sei kein Shaʿbānī (der sich nur saisonal dem Shaʿbān – oder im weiteren Sinne Rajab – durch Anbetung widmet).“ Danach rezitierte er:

إذا كُنْتُ في حَرْبِ الهَوى مُتَجَرِّدًا … فَفي كُلِّ أرْضٍ لِيَ ثَغْرٌ وَطَرْسُوسُ
„Wenn ich entblößt in den Kampf der Begierde ziehe,
so ist mir jedes Land ein Frontposten – und Ṭarsūs.“

Standhaftigkeit nach dem Ramaḍān

Die Taten des Gesandten Allāhs ﷺ waren beständig. ʿĀʾishah (raḍiyallāhu ʿanhā) wurde gefragt, ob der Gesandte Allāhs ﷺ irgendeinen bestimmten Tag (für eine besondere gottesdienstliche Handlung) ausgewählt habe. Sie antwortete: „Nein. Es herrschte Beständigkeit in seinen Taten.“ Und sie sagte weiter: „Der Gesandte Allāhs ﷺ verrichtete nie mehr als elf Rakʿāt, weder im Ramaḍān noch in einem anderen Monat.“

Das Pensum (an Qurʾān-Rezitationen und Gedenkformen Allāhs), welches von ihm im Ramaḍān ausblieb, holte er im Monat Shawwāl nach. Er ließ in einem Jahr das Iʿtikāf in den letzten zehn Tagen des Ramaḍān aus – und holte es im darauffolgenden Shawwāl nach, indem er sich in den ersten zehn Tagen dieses Monats zur Andacht zurückzog. Er fragte einmal jemanden, ob er am Ende des Monats Shaʿbān gefastet habe. Der Mann verneinte, woraufhin der Gesandte Allāhs ﷺ ihm befahl, nach dem ʿĪd zu fasten, sprich das Versäumte im Monat Shawwāl nachzuholen.

Wir haben bereits erwähnt, dass Umm Salamah (raḍiyallāhu ʿanhā) ihre Familienangehörigen anwies, verpasste Fastentage des Ramaḍān direkt nach dem ʿĪd nachzuholen – da dies der schnellste Weg ist, sich von seiner Verpflichtung zu entledigen. Und das sei besser, als mit den sechs freiwilligen Fastentagen von Shawwāl zu beginnen. Die Gelehrten sind sich uneinig darüber, ob jemand, der noch verpflichtende Fastentage (qaḍāʾ) nachholen muss, vorher freiwillige Fasten einlegen darf oder nicht. Diejenigen, die dies erlauben, sagen: Der besondere Lohn für das Fasten der sechs Tage im Shawwāl kann nur von jemandem erreicht werden, der zuerst das Fasten des Ramaḍān vollständig vollzogen hat – und anschließend die sechs zusätzlichen Tage im Shawwāl fastet. Wenn jemand noch Fastentage aus dem Ramaḍān nachzuholen hat, aber stattdessen direkt mit den sechs freiwilligen Fastentagen beginnt, wird er nicht den Lohn dafür erhalten, dass er Ramaḍān und anschließend Shawwāl gefastet hat – da er das vorgeschriebene Fasten des Ramaḍān noch nicht vollständig erfüllt hat. Das ist wie bei jemandem, der aus triftigem Grund (z. B. Krankheit oder Reisen) im Ramaḍān nicht fasten konnte: Selbst wenn er die sechs Tage im Shawwāl fastet, erhält er nicht den Lohn für ein ganzjähriges Fasten.

Wenn jemand jedoch zunächst seine versäumten Fastentage aus dem Ramaḍān nachholt und danach die sechs Tage von Shawwāl fastet, so ist dies eine gute Praxis – denn er hat dann das Fasten des Ramaḍān vervollständigt und mit den sechs Tagen ergänzt. Wenn jemand lediglich die versäumten Tage aus dem Ramaḍān nachholt, ohne anschließend die sechs Tage von Shawwāl zu fasten, erhält er nicht den Lohn für diese freiwilligen sechs Tage – denn dieser Lohn ist daran geknüpft, dass der Ramaḍān vollständig abgeschlossen wurde.

Die Taten eines Gläubigen enden nicht – außer mit dem Eintreffen des Todes. Al-Ḥasan al-Baṣrī (raḥimahullāh) sagte: „Allāh ﷻ hat dem Diener keine Grenze gesetzt – außer dem Tod als eine Frist für die Taten des Menschen.“ Dann rezitierte er den Vers: „So diene deinem Herrn, bis zu dir die Gewissheit (der Tod) kommt.“ (Sūrah al-Ḥijr, 15:99)

Diese Monate, Jahre, Tage und Nächte sind alles Mittel zur Berechnung der Lebensspannen und Begrenzungen für unsere Taten. Sie vergehen schnell – und ziehen weiter. Was jedoch das erhabene Wesen betrifft, der sie ins Dasein gerufen, erschaffen, ihnen Verdienste zugewiesen und sie an ihren Platz gesetzt hat: Er ist ewig und vergeht niemals. Er ist beständig und wird niemals verschwinden. Er ist Allāh – ein Einziger zu jeder Zeit. Er wacht und beobachtet ständig die Taten Seiner Diener. Preis sei dem, der seine Diener in verschiedenen Zeiten zu unterschiedlichen Arten von Gottesdienst lenkt – und ihnen dadurch erhabene Gaben gewährt, sie mit größter Güte behandelt und großzügig beschenkt.

Wenn die drei ehrwürdigen Monate ihr Ende nehmen, deren erster der heilige Monat und deren letzter der Monat des Fastens war, treten drei andere, nämlich die Monate der Ḥajj zum geheiligten Haus, in Erscheinung. Genauso wie demjenigen, der im Ramaḍān fastet und die Nächte im Gottesdienst verbringt, die vergangenen Sünden vergeben werden, so kehrt auch derjenige, der die Pilgerfahrt ohne Obszönität und Sünde verrichtet, so rein zurück – wie an jenem Tag, an dem ihn seine Mutter geboren hat.

Nicht eine einzige Stunde im Leben eines Gläubigen vergeht, ohne dass er darin eine Gelegenheit zum Gottesdienst oder Gehorsam findet. Ein Gläubiger bewegt sich zwischen diesen Arten des Gottesdienstes – und sucht damit hoffend und fürchtend die Nähe seines Herrn. Ein Liebender wird niemals der Annäherung zu seinem Geliebten durch freiwillige Taten überdrüssig. Er begehrt nichts anderes als Seine Nähe und Sein Wohlgefallen.

ما للمُحِبِّ سِوى إرادَةِ حِبِّهِ … إنَّ المُحِبَّ بِكُلِّ بِرٍّ يَضْرَعُ
„Der  Liebende hat nichts als den Wunsch nach dem Geliebten,
der Liebende demütigt sich in der Form der Güte.“

Ein Diener hat gewiss Verlust erlitten, jedes Mal, wenn er eine Zeitspanne verstreichen ließ, ohne darin seinem Herrn zu dienen. Jede Stunde, in der er sich nicht an Allāh ﷻ erinnert hat, wird ihm am Tag der Auferstehung zum Anlass für Bedauern und Reue. Wehe der Zeit, die in Sünde gegenüber Ihm verstrichen ist! Wehe der Zeit, die vergangen ist, ohne Ihm zu dienen!

مَنْ فاتَهُ أنْ يَراكَ يَوْمًا … فَكُلُّ أوْقاتِهِ فَواتُ
„Wer auch nur einen Tag verpasst, dich zu sehen –
dessen ganze Zeit ist verloren und verweht.

وَحَيْثُما كُنْت مِنْ بِلادٍ … فلي إلى وَجْهِكَ الْتِفاتُ
Und wo auch immer ich mich auf der Erde befinde –
mein Blick muss sich stets deinem Antlitz zuwenden.

Wenn eine Person eine Handlung des Gehorsams vollendet, dann zeigt sich die Annahme dieser Handlung daran, dass sie ihm eine weitere Handlung des Gehorsams folgen lässt. Und die Ablehnung erkennt man daran, dass er nach dem Gehorsam ein Ungehorsam folgen lässt. Wie ausgezeichnet ist eine gute Tat, die auf eine schlechte folgt und sie auslöscht! Doch noch vortrefflicher ist eine gute Tat, auf die eine weitere gute Tat folgt. Und wie abscheulich ist eine Sünde, die auf eine gute Tat folgt – und sie zerstört! Eine einzige Sünde nach der Reue ist schlimmer als siebzig Sünden vor der Reue. Ein Rückfall ist unerträglicher als eine Krankheit – und oft führt er zur völligen Zerstörung.

Bitte Allāh ﷻ um Standhaftigkeit im Gehorsam bis zu deinem Tod. Und suche Zuflucht bei Ihm vor der Umkehr der Herzen und vor einem schlechten Zustand nach einem guten. Wie entwürdigend ist die Schande des Ungehorsams nach der Ehre des Gehorsams! Und noch schlimmer ist die Armut der Gier nach dem Reichtum der Genügsamkeit. Hab Mitleid mit den Ehrenvollen, die durch Ungehorsam erniedrigt wurden, und mit den Reichen, die durch Sünden verarmten.

تَرى الحَيَّ الأُلَى بانوا … عَلى العَهْدِ كَما كانوا
„Du siehst, wie die Menschen sich vom Bund entfernen,
so wie sie zuvor waren, unerschütterlich, wie sie waren.

أمِ الدَّهْرُ بِهِمْ خانَ … وَدَهْرُ المَرْءِ خَوَّانُ
Hat sie der Lauf der Zeit etwa betrogen?
Die Zeit betrügt den Menschen immer wieder und von neuem.

إذا عَزَّ بِغَيْرِ اللـ … ــــــــــــهِ يَوْمًا مَعْشَرٌ هانوا
Wenn Leute Ehre erlangen, jedoch nicht durch Allāh ﷻ –
so sind sie in Wahrheit erniedrigt und verhöhnt.“

O Jugend der Reue! Kehret nicht zurück zum Säugen an der Brust der Begierde nach der Entwöhnung. Das Säugen ist nur für Kinder geeignet, nicht für Männer! Ja, ihr müsst Geduld mit dem Bitteren des Abstillens üben. Wenn ihr geduldig seid, werdet ihr euch vom süßen Genuss der Begierde mit der Süße des Glaubens in den Herzen ersetzen. Wer für Allāh ﷻ etwas aufgibt, wird den Verlust nicht spüren, und Allāh ﷻ wird ihm etwas Besseres im Austausch dafür geben: „Wenn Allāh in euren Herzen etwas Gutes findet, wird Er euch etwas Besseres geben als das, was euch weggenommen wurde, und Er wird euch vergeben.“ (Sūrah al-Anfāl, 8:70)

Ein Ḥadīth besagt: „Der Blick ist einer der giftigen Pfeile Satans. Wer ihn aus der Furcht vor Allāh ﷻ unterlässt, wird von Ihm mit einem Īmān gesegnet, dessen Süße er in seinem Herzen kosten wird.“ Überliefert von Imām Aḥmad (raḥimahullāh).

Und diese Ansprache gilt der Jugend. Was jedoch den älteren Menschen betrifft: Wenn er nach dem Ende des Ramaḍān erneut in Sünden verfällt, ist das umso schlimmer, ja abscheulicher, denn die Jugend hofft, im hohen Alter zur Reue zurückzukehren – auch wenn sie sich (damit) in Gefahr begibt, denn der Tod ereilt und klopft mitunter urplötzlich an. Der alte Mensch jedoch, dessen ‚Boot‘ kurz vor der ‚Uferkante der Vergänglichkeit‘ angekommen ist – was hofft er noch?!

نَعَى لَكَ ظِلَّ الشَّبابِ المَشِيبُ …. وَنادَتْكَ بِاسْمِ سِواكَ الخُطوبُ
„Der Schatten der Jugend verkündet dir den Tod der Alten,
die Katastrophen rufen mit dem Namen eines anderen.

فَكُنْ مُسْتَعِدًّا لِداعي الفَناءِ … فَكُلُّ الَّذي هُوَ آتٍ قَريبُ
Bereite dich vor auf den Ruf des Vergehens,
denn alles, was kommt, ist nahe, es wird bald geschehen.

ألَسْنا نَرى شَهَواتِ النُّفو … سِ تَفْنى وَتَبْقى عَلَيْنا الذُّنوبُ
Sehen wir nicht, wie die Begierden der Seele vergehen,
während die Sünden weiter auf uns bestehen?

يَخافُ على نَفْسِهِ مَنْ يَتوبُ … فَكَيْفَ يَكُنْ حالُ مَن لا يَتوبُ
Der, der bereut, fürchtet um sich selbst,
was ist dann mit dem, der nie bereut?“

[Auszug aus „Laṭāʾif al-Maʿārif fīmā li-Mawāsim al-ʿĀm mina al-Waẓāʾif“ von Ḥāfiẓ Abū al-Faraj Ibn Rajab al-Ḥanbalī, möge Allāh ihm gnädig sein]